Die ethische Diskussion um Algorithmen

m Jahr 2018 wussten laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung nur 10 Prozent der Deutschen was genau Algorithmen sind. Die Studie untersuchte mittels repräsentativer Bevölkerungsbefragung das Wissen und die Einstellung der Deutschen zu Algorithmen. Knapp drei Viertel der Bevölkerung haben den Begriff „Algorithmus“ schon einmal gehört, doch mehr als 50 Prozent gaben an, kaum etwas zum Thema zu wissen. Dementsprechend wenig war über die Einsatzgebiete bekannt und es herrschte auch kein klares Bild über Vor- und Nachteile algorithmenbasierter Entscheidungen. Die Studie ermittelte außerdem die Akzeptanz und Ablehnung autonomer Computer-Entscheidungen in 16 verschiedenen Entscheidungssituationen und stellte dabei einen starken Wunsch nach stärkerer Algorithmen-Kontrolle fest. Fazit der Studie war, dass grundlegende Kenntnisse über Einsatz und Funktion von Algorithmen eine helfen würden, um Chancen und Risiken realistischer zu bewerten. Eine breite gesellschaftliche Debatte und Aufklärung sei somit vonnöten. Auch für Journalisten. „Wie Algorithmen unser Leben beinflussen“. So oder ähnlich lauteten in den letzten Jahren sehr häufig Überschriften von Artikeln, die vor den Gefahren der zukünftigen Technologien warnten. Thematisiert wurden dann gerne rassistische Gesichtserkennungsalgorithmen oder diskriminierende Bewerbungsprozeduren oder die Entscheidung, für wen ein autonomes Auto bremst oder nicht. Mittlerweile gibt es immer mehr Erklärung und Aufklärung zu diesem Thema, der Ton in den öffentlich rechtlichen Medien wird Algorithmen und künstlicher Intelligenz gegenüber freundlicher und neben dem autonomen Fahren und militärischen Drohnen werden endlich Bereiche wie die Wissenschaft und das Gesundheitswesen thematisiert, in denen die Gesellschaft von Computer-Algorithmen und Co. erkennbar profitiert. Was mir immer noch fehlt, ist der Punkt, dass ein Algorithmus keine neumodische Erfindung ist. Algorithmen waren schon immer Teil unseres Lebens, unserer Gesellschaft, sogar schon lange bevor Al-Chwarizmi, ein Mathematiker, arabischer Universalgelehrter des 9. Jahrhunderts, uns diesen Begriff bescherte. Für alle, die thematisch noch Einsteiger sind: Ein Algorithmus ist eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems und besteht aus endlich vielen, wohldefinierten Einzelschritten. Nix mit neumodischer Technik. Nehmen sie nur den Vorgang der Verdauung, die Schrittfolge eines Walzers oder – um es mal etwas technischer und komplexer werden zu lassen – die Abläufe in der „Zeche Zollern“ in Dortmund. Das 1898 gestartete Prestigeobjekt der Gelsenkirchener Bergwerk AG, ist ein Sinnbild für einen Algorithmus in einer technisch-innovativen Umgebung und hier kommen auch gleich mal ein paar echte Planungsingenieure ins Spiel. Ein Kohle-Förder-Algorithmus sollte wesentlich besser durchdacht werden, als die Schrittfolge eines Gesellschaftstanzes, nicht wahr?! In der Regel entscheidet man sich für das billigste und zugleich sicherste Verfahren. Dabei muss man ganz schön vorrausschauend sein. Die Gelsenkirchener Bergwerk AG hatte beispielsweise bei der technischen Planung der „Zeche Zollern“ vor, sämtliche zu beschaffenden Maschinen nach und nach von Dampfantrieb auf elektrischen Strom umzustellen, um langfristig die Betriebskosten zu senken. Die elektrisch betriebene Fördermaschine von 1902 war die erste Hauptschacht-Fördermaschine im europäischen Bergbau. Sensationell! Eine elektrisch betriebene Förderung galt noch als zu riskant, weil der hohe Energiebedarf regelmäßig zum Zusammenbruch der Zechenstromnetze geführt hätte. Tricky! Die Architekten und Planungsingenieure brauchten also außer wilden Ideen auch ein umfassendes Verständnis der Zechenabläufe, damit das hochinnovative „Schloss der Arbeit“ ein echter Renner wird. Nicht nur die technischen Abläufe, sondern auch jeder einzelne Arbeitsschritt der Bergarbeiter – von der Markenstube über die Kaue bis hin zur Förderung und Erstverarbeitung der Kohle – mit den dabei verbundenen Gefahren, musste bedacht werden. Wow! Das ist ne Menge! Jetzt stellen Sie sich mal die „Zeche Zollern“ als Programmierarbeit vor. Da ist ne Menge Kleinkram zu beachten. Gefährlich, wenn Programmierer:innen/Planungsingenieur:innen nicht genaustens wissen, was sie da coden/entwickeln sollen. Da geht es nicht um hohe Mathematik oder die perfekte Programmiersprache, sondern vor allem um die Vorstellung von Ereignisketten. Was soll passieren, wenn … und außerdem sollte auch bedacht werden, was soll nicht passieren, wenn … Bei Inbetriebnahme der „Zeche Zollern“ vor knapp 120 Jahren wurden dann auch tatsächlich Planungsmängel festgestellt. Der ganze Laden war schick und topmodern, aber viel zu klein gedacht. In der kurzen Schachthalle war kein Wagenumlauf möglich und die Aufbereitungsanlagen für die Trennung und Aufbereitung der Kohlen taugten nicht. So wurde nach 20 Jahren schon wieder ans Auslaufen der Anlage gedacht. Perfekte Algorithmen können in der analogen wie in der digitalen Welt ne harte Nuss sein. Programmierer und Planungsingenieure sind nämlich das gleiche in Grün, Menschen, die Fehler machen können. Einen Planungfehler bezeichnet man in der Informatik als systematischen Bias. Und der hat eben seine Folgen. Falls nun das Argument kommt, dass ein Fehler in einer einzelnen Industrieanlage weniger gefährlich und tiefgreifender ist als ein Bias, der eine Gesichtserkennung zu einem Rassismus-Debakel macht, möchte ich auch hier auf die Vergangenheit verweisen. Die „Programmierpanne der „Zeche Zollern“ hatte ja nicht nur Konsequenzen innerhalb des Betriebsgelände. Die erste Bergarbeiterkolonie im Ruhrgebiet wurde 1844 gebaut. Da in den kommenden Jahrzehnten immer mehr Schächte abgeteuft und immer mehr Arbeitskräfte benötigt wurden, zogen bis zum ersten Weltkrieg ca. 800.000 Menschen – also etwa viermal so viel wie Rostock Einwohner hat – in das Ruhrgebiet, fast 50% davon aus Polen. Durch den Bau von Wohnungen auf dem extrem lauten, schmutzigen und betriebseigenem Gelände, konnte man den Arbeitern lange Arbeitswege ersparen und sie -praktisch, praktisch – per Schicht-Sirene zur Disziplin bringen. Zusätzlich waren die Mietverträge dieser „wundervollen“ Unterkünfte auch noch an das Beschäftigungsverhältnis gekoppelt. Wenn also ein Planungsfehler dafür sorgte, dass die „Zeche Zollern“ schon nach kurzer Zeit zum Auslaufmodell wurde und ihren Arbeitern kündigte, war genau dieser Bias dafür verantwortlich, dass Tausende Menschen Einkommen und Zuhause verloren. Bevor wir also Algorithmen und künstliche Intelligenz aus einem Bauchgefühl heraus als gefährliche neue Technologien verteufeln, sollten wir uns zunächst einmal damit befassen, was sie tatsächlich sind, was sie tatsächlich können, wo und für wen sie tatsächlich eingesetzt werden.

Liebe Grüße #TheDataDiver