Auch wenn es den Eindruck macht, dass sich hinter der K.I.-Forschung eine homogene Wissenschaftlergruppe verbirgt, ist es eigentlich wie beim Fussball. Es gibt eine Vielzahl von Teams, die um den Pokal kämpfen. Da gibt es die symbolischen K.I.-Teams, die Support-Vector-Machine-Teams,Team Neuronale Netze und sicher noch einige mehr.
Mit folgendem Beispiel erkläre ich mal ganz untechnisch und unwissenschaftlich, wie ich die unterschiedlichen Konzepte der genannten Mannschaften verstanden habe: Ziel ist es, in einer Gruppe von Menschen im Freibad Turmspringer zu identifizieren.
In einem symbolischen System stellen Experten die Regel auf, dass das Konzept „Turmspringer“ eine Spezialisierung des Konzepts „Person“ darstellt; beispielsweise eine Person, die in Badebekleidung ist und die einen Bezug zu Sprungtürmen hat. Wenn solche Regeln hinterlegt sind, kann das System Suchanfragen nach Turmspringern beantworten – und zwar selbst dann, wenn in den durchsuchten Daten die Eigenschaft „Turmspringer“ nicht explizit angegeben ist, sondern nur Informationen darüber existieren, welche Beziehungen zum Sprungturm bestehen und ob Personen Badebekleidung anhaben. Stehe ich also bei der Siegerehrung im Trainingsanzug auf dem Siegertreppchen, bin ich für die symbolische K.I. kein Turmspringer? Olympiamedaille hin oder her, ohne Badeanzug und ohne Sprungturm in Reichweite bin ich für das Thema „Turmspringer“ nicht relevant. Hm? Wenn meine große Schwester im Freibad in ihrem Lieblingsbadeanzug auf den 3-Meter-Turm klettert, dann ist sie mehr Turmspringer als ich? Nochmal hm!
In einem sub-symbolischen System könnten Experten für die gleiche Aufgabe eine sogenannte Support Vector Machine (SVM) einsetzen. Auch wenn es das Verstehen nicht zwingend einfacher macht, vorab noch eine kleine Begriffsklärung. Ein Vektorraum ist Untersuchungsgegenstand der linearen Algebra. Die Elemente eines Vektorraums heißen Vektoren. Sie können addiert oder mit Zahlen multipliziert werden,so dass das Ergebnis wieder ein Vektor desselben Vektorraums ist. Support Vector Machinen sind also keine Maschinen im herkömmlichen Sinne, sondern ein mathematisches Verfahren der Mustererkennung. Die Support-Vector-Machine teilt einen mehrdimensionalen Datenraum in Form einer Ebene auf, die die Personengruppen der Turmspringer und Nicht-Turmspringer voneinander trennt. In einem vereinfachten Beispiel mit zwei Dimensionen bedeutet dies, das Punkte in einem Koordinatensystem die zu bewertenden Daten darstellen und die SVM durch diese Punkte eine Gerade ermittelt, welche die Punkte in zwei Klassen nämlich die Turmspringer und die Nicht-Turmspringer trennt. Oha! Ich bin nicht sicher, ob ich das genau verstanden habe, aber vielleicht kriege ich trotzdem eine Chance auf meinem Siegerpodest und im Trainingsanzug als Wasserspringerin wahrgenommen zu werden. Okay! Wie war das noch gleich? Stellen Sie sich also vor, alle Besucher des Freibads werden auf Grund einiger weniger Eigenschaften in zwei Gruppen unterteilt. Nehmen wir mal Eigenschaften wie: sportlich aktiv, in Badebekleidung, in der Nähe des Sprungturms oder nass. Steht mein Siegerpodest in der Nähe des Sprungturms habe ich es knapp in die Gruppe der Turmspringer geschafft. Meine Schwester hatte überhaupt kein Problem, weil sie gleich dreimal punkten konnte, weil sie im Badeanzug, sportlich den Sprungturm hinauf klettert. Zufrieden bin ich damit noch nicht so richtig.
Team Neuronale Netze lässt die klare Trennung in „Turmspringer“ und „Nicht-Nichtturmspringer“ gänzlich weg. Neuronale Netze folgen keiner vorgegebenen mathematischen Regel, sondern werden trainiert. Dazu gebe ich einem künstlichen neuronalen Netz alle möglichen Daten, auch die scheinbar unwesentlichen, von – diese Menge ist jetzt mal völlig willkürlich gewählt- 100 verschiedenen Fußballern, 100 verschiedenen Turmspringern, 100 verschiedenen Turniertänzern und 100 verschiedenen Pudeln in je 100 verschiedenen Situationen. Stellen Sie sich der Einfachheit Bilder als Datensätze vor. Das muss nicht zwingend ein Bild beim Sprung vom Turm oder auf dem Fußballfeld sein, vielleicht kommt eine offizielle Veranstaltung mit Abendgarderobe dazu oder eine Siegerehrung oder Porträts oder der Besuch beim Physiotherapeuten. Dann sortiert das künstliche neuronale Netz, nicht nach Richtig oder Falsch, sondern nach Ähnlichkeiten.
Mit all diesen gesammelten Daten wird das Netz Ihnen genauso wenig wie die beiden anderen Verfahren hundertprozentig bestimmen können, wer im Freibad tatsächlich Wasserspringer ist oder nicht. Da müssen Sie schon selbst nachfragen. Aber ein künstliches neuronales Netz wird Ihnen zu jedem Freibadbesucher sagen, zu wie viel Prozent er Fußballer, Turmspringer, Turniertänzer oder Pudel sein könnte. Anhand der Trainingsdatensätze wird mich das künstliche neuronale Netz in meinem Trainingsanzug und auf dem Siegerpodest wegen Eigenschaften wie meiner Körpergröße, Statur, meiner Haltung, dem Sportbezug und so vielen mir noch unbekannten Mustern eher den Wasserspringern als den Fussballern oder Pudeln zuordnen. Obwohl mein Pudelanteil nicht ohne ist, wenn ich mal keinen Zopf trage. Und selbst wenn es Ihnen gar nicht bewusst ist, Sie können das auch. Sie können eine Ballerina von einer Judo-Kämpferin unterscheiden, ohne die Ladies an ihrem Wirkungsort zu sehen. Es ist tatsächlich nur eine Frage des Trainings. Ich bin schrecklich kurzsichtig und zu meinen aktiven Zeiten blind wie ein Maulwurf vom Turm gesprungen. Aus 10 Meter Höhe und ohne Brille sehen für mich Menschen alle so ziemlich gleich aus. Vollkommen ungeplant entwickelte sich daraus eine besondere Fähigkeit. Ich konnte und kann noch immer in kurzer Zeit Menschen an ihrem Gang erkennen. Allein der menschliche Gang hat erstaunlich viele Facetten, also Eigenschaften. Das Tempo, die Schrittlänge, die Gewichtsverteilung, der Armschwung, ist der Körper aufrecht, leicht gebeugt, in Vorlage, die Haltung von Kopf und Schultern. Achtung, Funfact! Interessanterweise gibt es zu diesem Thema sogar mindestens eine wissenschaftliche Arbeit. Viktoria Keki schrieb 1999 ihre Diplomarbeit „Der menschliche Gang als Signal: Einsatz eines künstlichen neuronalen Netzwerkes in der Bewegungsanalyse“. Aber zurück zu mir! Bei der Arbeit in meinem Kravayogastudio entwickelte sich meine Beurteilungsart des Ganges sogar noch weiter. Ich lernte, an der Körperhaltung Beschwerden zu erkennen. Auch wenn ich gerne mit meinem Magic Eye kokettiere, ist es nichts als Training. Mein menschliches neuronales Netz hat über eine Vielzahl von „Datenerhebungen“ Muster erkannt. Vermutlich haben Sie selbst eine ähnliche Gabe. Sie können an der Haptik verschiedene Pflanzen erkennen, hören besonders gut Töne heraus oder sind ein Genie für Farbnuancen. Vielleicht können Sie mit einem einzigen Schnuppern am Kochtopf alle Zutaten einer Suppe erraten oder auf einen Blick erkennen, ob ihr Haustier müde, gelangweilt, traurig oder satt und zufrieden ist. Es gibt eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie künstliche neuronale Netze lernen, ohne es mathematisch nachvollziehbar machen zu können. Aber liegt es wirklich daran, dass es mathematisch nicht nachweisbar ist, oder nur daran dass unser mathematisches Verständnis zu klein ist?
Wenn Sie das Wort „Turmspringer“ googlen und sich nur die Bilder anzeigen lassen, werden Sie neben vielen erwartbaren Bildern von Herren in ihren winzigen Badehöschen, unerwartet häufig den Schauspieler Jason Statham und ein entzückendes Bild vom knienden Olympioniken Quin Kai finden, der seiner überraschten Freundin He Zi bei den olympischen Spielen in Rio einen Heiratsantrag machte. Die Bildunterschrift lautet: „Qin Kai hält um die Hand seiner Partnerin He Zi an.“ Es ist wirklich ein wunderschönes Bild, Sie werden jedoch keinen Badeanzug, keine Badehose und keinen Sprungturm darauf finden. Warum bekomme ich dann dieses Bild angeboten? Tja, bei der Bildersuche wird interessanterweise gar nicht nach Bildern gesucht, sondern nach den Beschreibungen der Bilder. Es wird also ein Text ausgewertet. Aber dort steht bewiesenermaßen nichts vom Turmspringen. Googlen Sie nun Qin Kai oder He Zi, werden Sie einige Bilder der chinesischen Weltklasseathleten in Badebekleidung, in der Nähe eines Sprungbretts und eines Sprungbeckens finden. Und obwohl die beiden Olympiamedaillengewinner streng genommen Kunstspringer sind, bewegen sie sich doch nah genug am Begriff Turmspringer, selbst in einem so rührenden Moment wie diesem Heiratsantrag. Aber wie kommt das? Jeder Klick auf einen Link trainiert die künstlichen neuronalen Netze von Google. Jeder einzelne der 1,2 Milliarden Google-Nutzer ist am Training beteiligt und macht das geheimnisvolle Ding schlauer und schlauer und schlauer. Anstatt die Weltherrschaft an sich zu reißen, bleibt die Googlesuchanfrage jedoch eine geduldige Super-Duper-Mega-Bibliothekarin, die unserer Gesellschaft mit seinen Suchvorschlägen netterweise auch noch den Spiegel vorhält, ohne es bewertend zu kommentieren. Aber was genau sind denn nun diese künstlichen neuronalen Netze? Sie sind Verfahren, ähnlich zu unserem Nervensystem, in welchen Informationen über die Verbindungen zwischen Neuronen weitergegeben werden. Je nachdem, welche Informationen einströmen, werden diese Verbindungen gebildet. Häufig genutzte Verknüpfungen prägen sich stärker aus, selten aufgerufene Verknüpfungen verkümmern. Googlen Sie dazu mal die Hebbsche Lernregel. Künstliche neuronale Netze arbeiten ein bisschen wie die neuronalen Netzwerke im menschliche Gehirn, sind aber kein künstliches Gehirn. Neuronale Netze sind äußerst komplex und dynamisch und was besonders wichtig ist, sie arbeiten in einem n-dimensionalen Merkmalsraum. Ein Merkmalsraum ist ein mathematischer Raum, der ein Objekt durch dessen Messwerte in Bezug auf dessen besondere Eigenschaften bzw. Merkmale bestimmt. Arbeitet es in einem n-dimensionalen Merkmalsraum bedeutet das, dass sich ein künstliches neuronales Netz zur Mustererkennung nicht mit ein, zwei oder auch einer handvoll Eigenschaften begnügt, sondern es gleicht hunderte von Eigenschaften ab. Eine wundervolle Fähigkeit, die wir Menschen vom Kleinkindalter an beherrschen. Und das ist doch ein gutes Zeichen. Wenn Sie mal den Prozentsatz der Menschen, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen, bedenken, sollten uns künstliche Neuronale Netze als Verfahren wenig Sorge machen. Gedanken sollten wir uns allerdings um die Daten machen, mit denen wir jede Form von neuronalen Netzen trainieren. Man wirft schließlich auch nicht tausendfach einen Speer durch die Gegend, um einen Handstand zu trainieren. Aber das ist mal wieder ein ganz anderes Thema. Dazu komme ich ein anderes Mal.
LG #TheDataDiver
LG #TheDataDiver